Musik als Zuhause

Europe Konzert Berlin 2015

Am Montag beim Konzert von Europe: Der Klangteppich legt sich um mich wie ein weicher warmer Umhang, der an genau den richtigen Stellen vom Tragen etwas ausgebeult ist. Oben auf der Bühne stehen diese fünf Musiker, die ich aus meinen frühen Teenager-Jahren so gut kenne: Ihre Poster hingen damals einige Jahre lang in meinem Zimmer, und ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben ein anderes Rock-Album öfter gehört habe als The Final Countdown.

Als Europe 1987 mit eben diesem Album schlagartig berühmt wurden, war ich im besten Schwärm-Alter. Damals war Rockmusik noch neu und aufregend für mich; meine Eltern hörten nur Klassik. Europe hatte alles, was ich mir von einer Band wünschen konnte: schöne Melodien, rockige Rhythmen, hübsche Gesichter – und mit Joey Tempest einen strahlenden Frontmann mit toller Stimme. Ich kann mich noch gut an die Aufregung erinnern, mit der ich ihrem Auftritt in der Liederhalle in Stuttgart entgegenfieberte. Es war mein erster Konzertbesuch überhaupt.

Jetzt befinde ich mich also nach 28 Jahren wieder in einem Konzert von ihnen.

Europe- Konzert im Astra Berlin 2015
Europe- Konzert im Astra Berlin 2015

Die Bühne ist kleiner, das Publikum zum Großteil mit den Musikern gealtert. Das mittlere Alter steht ihnen gut, besser als so manchem Zuhörer. Zwischen die neuen Songs, die wieder härter und rockiger geworden sind, haben sie die alten Hits eingeflochten. Die Mischung sitzt. Mit jedem Lied ziehen sie mich mehr in ihre Musik und ihre Show hinein; ich lasse mich von den Tricks, den Posings und dem entwaffnenden Charme des etwas eitlen, dabei jedoch selbstironischen Frontmanns Tempest ebenso einwickeln wie von der Musik und den Lichteffekten.

Joey Tempest, Europe, Konzert 2015, Berlin
Frontmann Joey Tempest in Aktion

Ein seltsames Gefühl holt mich ein, es spürt sich ein bisschen an als käme ich nach langer Zeit nach Hause.

Nach wirklich langer Zeit. Denn wie das Leben so spielt: Europe entwickelte sich in den Alben nach The Final Countdown musikalisch in eine andere Richtung als mein Musikgeschmack, die Poster verschwanden und wurden durch andere ersetzt. Dass sich die Band 1992 auflöste, bekam ich nur noch am Rande mit. Ihre Wiedervereinigung 2004 ging völlig an mir vorbei.

Bis Sonntag. Da lernte ich jemanden aus der Road Crew von Europe kennen und kam auf die Gästeliste fürs Konzert. Jetzt, wo ich diese Musik wieder höre, stelle ich fest, wie sehr ich sie all die Jahre vermisst habe. Dass sie zuletzt wieder härter geworden sind, gefällt mir. Musik ist auch ein zuhause. Und was für eins.

 

PS: Inzwischen haben Europe bei den diesjährigen Classic Rock Awards in der Rubrik „Comeback Of The Year“ gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Mehr zu den diesjährigen Classic Rock Awards: http://www.bbc.com/news/entertainment-arts-34785593

 

Die Schrecken der Flucht gezeichnet

Literaturfestival Flucht erzählen

Quer durch die Wüste führte ihn seine erste Flucht von Mexiko in die USA, berichtet der Illustrator Javier Martínez Pedro auf dem Familienfest des 15. Internationalen Literaturfestivals Berlin in der Gelben Villa. Da waren die Angst vor Schlangen und die Angst, die Flucht nicht zu überleben. Und da war die Angst erwischt zu werden – was auch prompt geschah. Zwei bis drei Tage verbrachte er im amerikanischen Gefängnis, dann wurde er nach Mexiko zurückgeschickt.

Die zweite Flucht gelang besser. Seine Geschwister lebten zu diesem Zeitpunkt bereits in den USA, und bei ihnen konnte er wohnen, erzählt Martínez Pedro Moderatorin Shelly Kupferberg. Aber dort war er so unglücklich, dass er schon knapp drei Monate später wieder nach Mexiko zurückkehrte und das Kunsthandwerk aufnahm, das in seiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde: das Zeichnen.

Ein Glück für alle Fans des traditionellen Kunsthandwerks. Denn mittlerweile ist er für seine Illustrationen auf dem Baumrindenpapier des Amatl-Baumes (eine Feigenbaum-Art: ficus insipida) mehrfach ausgezeichnet worden.

Kinderbuch Leporello Flucht aztekisch
Das von Martínez Pedro gezeichnete Kinderbuch

Zum Familienfest ist er mit dem Kinderbuch „Migrar“ gekommen, das von ihm bebildert und von José Manuel Mateo geschrieben wurde. Migrar wurde u.a. 2012 mit dem Literaturpreis der Kinderbuchmesse von Bologna ausgezeichnet.und ist in diesem August bei Edition Orient zweisprachig auf Spanisch und Deutsch erschienen. Das Besondere: Es ist eigentlich kein Buch, sondern ein Leporello, gestaltet in der Tradition der Aztekencodices.

Migrar erzählt aus der Perspektive eines Jungen von der Flucht in die USA. Die Flucht beginnt bereits mit einem großen Schreck: Beinahe kommt er nicht auf den fahrenden Güterzug hinauf, auf den seine Mutter und seine Schwester bereits aufgesprungen sind. Und das bleibt nicht die einzige Gefahr, der er begegnet. Aber lest bzw. seht selbst weiter.

Die Kinder auf dem Familienfest jedenfalls waren während der Lesung ganz Ohr und Auge und umlagerten Martínez Pedro, als er für sie danach eine Zeichnung auf das Flipchart zauberte.

zeichnen Literaturfestival Kinder
Martínez Pedro zeichnet für die Kinder

 

Über das Spiel der Erwartungen

Musik Film Theater Orgel

Das kam überraschend: Angekündigt war „Große Orgel für kleine Leute“ im Musikinstrumenten-Museum. Und so erwartetete ich – schön im Einklang mit meiner Herkunft – traditionelle Orgelmusik, wie sie in den Kirchen zu Beginn der Gottesdienste gespielt wurde. Vielleicht etwas an die Zielgruppe angepasst – also nicht ein Präludium, das zum Gottesdienst hinführt oder etwas ähnliches, sondern etwas Einfacheres und Verspielteres. Aber eben: Orgelmusik, also etwas Feierliches, Gravitätisches. Eben so gewaltig, wie diese Orgel im Gesamtbild von Weitem auch wirkt:

Theaterorgel Musikinstrumenten-Mueseum Berlin
Die „große Orgel für kleine Leute“

Doch was Jörg Joachim Riehle bei der Langen Nacht der Museen dann spielte, warf mich um: Filmmusik aus King Kong. Und schnell wurde klar: Das ist keine traditionelle Orgel. Denn sie zwitscherte, heulte, wummerte, spielte Xylophon usw. Ihr glaubt mir nicht? Na, dann werft mal mit mir einen Blick hinter die Kulissen:

Orgel Xylophon Trommeln Filmmusik
Mighty Wurlitzer Theaterorgel von hinten

Zugegeben, es ist auf diesem Foto schwer erkennbar, weil sich das Glas spiegelt, hinter dem die Pfeifen und der Rest verborgen sind. Aber am unteren Bildrand kann man es sehen, wenn man genau hinschaut: das Xylophon. Und es war nicht die einzige Überraschung beim Blick hinter die Kulissen der Mighty Wurlitzer Theaterorgel.

Hier könnt Ihr die Orgel mal hören, wenn auch mit anderer Musik und einem andern Organisten. Viel Spaß:

Von Blüten, Mützen und Gedichten

Blüten Gedichte Kunst

Auf der Suche nach einem Einstieg in die Welt der Dichtung habe ich im Blog der literarischen Zeitschrift Mütze ein paar hübsche Gedicht-in-Blüten-Photos entdeckt. Und weil mir die Idee so gut gefiel, habe ich sie mit einem Gedicht von mir auf meine Weise interpretiert:

Gedicht Kuschelabend in Klee
Mein Gedicht „Kuschelabend“ im Klee

Die ganz traditionell gedruckte und auf dem Postweg versendete Zeitschrift Mütze wurde übrigens vor drei Jahren von Urs Engeler in die Welt gebracht. Der hatte davor mit Gedichtveröffentlichungen im ebook-Format experimentiert – via die Internetplattform Roughbooks. Dort publizieren – neben den traditionellen Veröffentlichungswegen – nach wie vor einige bekannte Dichter/innen wie Elke Erb, die sich als Urs Engelers Erben bezeichnen. Hübsch.

Rezensionen zu den via Roughbooks veröffentlichten ebooks gibt es übrigens u.a. auf dem Online-Kritikportal Fixpoetry. Die haben auch eine Rubrik Poetryletter, deren aktuelle Ausgabe (Nr. 299) total süß ist!

 

Pachamama, Maria und der Dschungel

Auf dem Karneval der Kulturen waren dieses Jahr neben Pfauen und anderen Paradiesvögeln viele symbolhaltige Figuren unterwegs. Ich habe eine Figur gesehen, die nicht nur einen Januskopf hatte, sondern einen „Januskörper“:

Symbole Karneval der Kulturen Maria und Pachamama
KdK 2015, Maria/Pachamama

Von vorne stellt diese Figur wohl Maria dar, die Mutter Gottes, ein Sinnbild des im Zuge der Kolonialisierung offiziell angenommenen katholischen Glaubens.

Dass in und hinter dem vorderen Erscheinungsbild noch etwas ganz anderes lebt, zeigt die Rückseite der Figur: Von hinten ist sie Pachamama, die Erdmutter, die ihre Kinder willkommen heißt, sie nährt, schützt und mit Fülle segnet.

Die Figur von hinten: Pachamama

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KdK 2015, Pachamama

Hier zeigt sich der erdhafte, nährende Aspekt von Pachamama in Form von Brüsten, Früchten, Gemüse und Getreide. Die offenen Hände symbolisieren für mich ihre Zugewandtheit und Öffnung für alles Lebende.

Auf dem Karneval wurde sie liebevoll begleitet von Wächtern und Flötenmusiker/innen, die an ihrer Seite oder hinter ihr liefen.

Auch bei den Wagen haben für mich die lateinamerikanischen Gruppen dieses Jahr den Vogel abgeschossen. Mein Lieblingswagen kommt von einer peruanischen Gruppe:

Karneval der Kulturen 2015 Berlin Peru
KdK 2015, Wagen einer peruanischen Gruppe

Ein Spiel mit Klischees, klar. Trotzdem gefällt mir, wie sie den Dschungel in ihrer Heimat humorvoll in Szene gesetzt haben. Sind die Jaguare nicht herrlich? Und der kleine Affe, der da oben hängt?

Und alles wird getragen vom Amazonas, auf dem die Indios in traditionellen Booten paddeln.